Friedrich Cerha (1926–2023)
Es ist keine Übertreibung, sondern es muss so und nicht anders gesagt werden: Ohne Friedrich Cerha wäre die Musikgeschichte anders verlaufen. Dass nach 1945 im damals ausdrücklich antimodernen Wien die neue Musik den Weg vom Underground zur heutigen Blüte und Vielfalt gefunden hat, verdankt sich zum großen Teil dem leidenschaftlichen, beharrlichen Einsatz seiner Persönlichkeit. Während das offizielle Österreich die Stunde Null entschlossen ignorierte, startete er als Teil der Wiener Nachkriegsavantgarde in Keller- und Ladenlokalen jenen Fermentationsprozess, aus dem die innovative Seite des österreichischen Kulturlebens hervorging. In den 1950ern suchte er sich Wissen aus erster Hand bei Mitgliedern der Wiener Schule, bei den Darmstädter Ferienkursen und bei Außenseitern wie Josef Mathias Hauer. 1958 begann er gemeinsam mit Kurt Schwertsik und seiner Frau Gertraud Cerha, die mehr als sieben Jahrzehnte lang seinen Weg teilte, neue Musik auf die großen Bühnen der Stadt zu bringen. Es waren der Mut und die Strahlkraft von Programmen wie beim Skandalkonzert mit Musik der jungen New York School 1959 im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses, die Schritt für Schritt das erstaunliche Publikum der zeitgenössischen Musik entstehen ließen, für das Wien heute berühmt ist. Zunächst gab Friedrich Cerha sein Wissen, seine Präzision und seine Energie dem sechs Jahrzehnte lang aktiven Ensemble „die reihe“ mit auf den Weg, später auch dem Klangforum Wien und weiteren Ensembles und Orchestern in Österreich. Prägende drei Jahrzehnte lang (1959–1988) war er an der heutigen mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien Kompositionslehrer von Dirk D’Ase, Karlheinz Essl, Georg Friedrich Haas, Martin Haselböck, Christian Ofenbauer, Helmut Schmidinger, René Staar, Wilhelm Zobl u.v.a. Als Komponist verstand Friedrich Cerha es auf vielfach erstaunliche Weise, einen wegweisenden Bogen von minutiös erforschter Tradition zu radikaler Neuerfindung zu schlagen. Als Kurator war er 1988 an der Gründungsausgabe des Festivals Wien Modern beteiligt, wo er zum 95. Geburtstag 2021 bei der Gesamtaufführung seiner Spiegel durch das RSO Wien die vermutlich längsten Standing Ovations der Festivalgeschichte entgegennehmen durfte. Am 15.11.2023 erfüllt Wien Modern seinem leidenschaftlichen Festivalstammgast den Wunsch, sein revolutionäres Frühwerk Fasce für großes Orchester auf die Bühne zu bringen. Fritz, danke für Alles, wir vermissen Dich!
Bernhard Günther