zum Inhalt springenzur Navigation

Oxymora für Vierteltontrompete, Gitarren und Elektronik

Burkhard Stangl, Franz Hautzinger (2024)

Über Schönberg, Pink Floyd und andere Dinge

«Alter Knabe», «offenes Geheimnis», «bittersüß», «ehemalige Zukunft»: «Oxymora» sind rhetorische Figuren, die zwei Begriffe verknüpfen, die einander grundsätzlich widersprechen oder sogar ausschließen. Dieses Stilmittel wird verwendet, um dramatische Verstärkungseffekte zu erreichen, kaum Formulierbares oder gar Unsagbares in ein Gegensatzpaar zu zwingen und dadurch zum Ausdruck zu bringen. Der innere Widerspruch eines Oxymorons ist gewollt und dient der demonstrativen Verdeutlichung eines doppelbödigen, mehrdeutigen oder vielschichtigen Inhalts, indem das Sowohl-als-Auch des Sachverhaltes begrifflich gespiegelt wird.
Schönberg und Pink Floyd – ist das wirklich ein Widerspruch? Versiert im weiten Feld des Jazz wie auch bei der Improvisation über Zwölftonreihen, begreifen wir, Franz Hautzinger und Burkhard Stangl, den scheinbaren Gegensatz als Inspirationsquelle. Ein charakteristischer Gitarrenakkord kann von der progressiven Rock-Band zu den klanglichen Sphären von Schönbergs bahnbrechenden Orchesterstücken führen, ein atonales Motiv findet sich in einem Song wieder. Im musikalischen Entdeckungseifer finden die Welten zueinander. Die ethnologische Literatur spricht von zahlreichen Universalien der Kultur, darunter Sprache, Verwandtschaft, Inzestverbot, Symbole und Rituale oder Religion. Nachdem wir, Letzteres betreffend, feststellen mussten, dass Gott nicht an uns glaubt, behaupten wir, dass der Atheismus durchaus seine transzendenten Seiten hat. Insbesondere dann, wenn es um den Glauben, um Hingabe an die Musik geht. An eine Musik, die nicht zugerichtet, nicht vorgefertigt, nicht in präformierten Mustern zum Erklingen gebracht werden will. Was Gott getrennt hat, soll der Mensch nicht binden. Mag es in vielen Bereichen so der Fall sein, so verhält es sich – auch wenn der Augenschein anderes impliziert – im Feld der Musik grundsätzlich anders. Klänge als Klänge, Töne als Töne oder Geräusche als Geräusche kennen per se keine Hierarchien. So wie der katholische Dreifaltigkeitstopos eine Fiktion ist, ist die Trennung zwischen neuer Musik, Jazz und non-idiomatischer Improvisation längst schon Fiktion. Es mag schon sein, dass Trennungen möglicherweise sinnvoll sind, auch wenn viele deren Bestandteile zusammengehören. Der Verdacht liegt nahe, in getrennten Entitäten denken zu wollen, um die Möglichkeit zu schaffen, auf der Basis von Ideologie und Religion Identität zu generieren. Wir lehnen diese Form der Generierung von Identitätsfindung ab. Für uns ist Musik so frei wie die Luft, die wir atmen, so unbestechlich wie das Geräusch des Wassers, dem wir lauschen, so unerklärlich wie Licht, das uns sehen lässt und uns wärmt. Wir vertreten einen musikalischen Aktionismus, der den Körper und die Sprache der Musik bedingungslos zum Thema macht und sich nicht um Stratifizierungskonventionen der Musikgenres bekümmert. Geschult an den großen Meister:innen der vergangenen Jahrhunderte, wissen wir, was es heißt, nein zu sagen, den eigenen Weg zu finden, ihn zu beschwören und ihm treu zu bleiben: «Geh deinen Weg und lass die Leute reden.» Beispielsweise verstehen wir, um Worte von Werner Raditschnig zu borgen, die Verkabelung der unterschiedlichsten Electronic Devices als «Orchestrierung von musikalischen Aktionen, die Verschmelzung von Gerät und Instrument als manuelle und elektronische Praktiken, woraus demnach die notwendigen denaturierten Spielformen am Instrument und somit postinstrumentale Handlungen folgen». Anders gesagt: Unsere subversiv grundierten klangästhetischen Handlungen sind jeder Form der künstlerischen Erneuerung geschuldet. Wir ehren unsere Ahnen – alle wahrhaftige Kunst war zu ihrer Zeit zeitgenössisch –, und ohne Schönberg, Berg und Webern wären wir nicht, was wir sind. Wir wären aber nicht, wer wir sind, ohne Pink Floyd. Der Gedanke, dass neue Musik, Improvisation und Elektronik getrennt voneinander gedacht werden, grenzt, wenn man die Historie der letzten hundert Jahre betrachtet, an Absurdität; vielleicht ein purer Akt der Verzweiflung, aus der Not eine Art von Ordnung zu schaffen. Wir kennen die Geschichte, wir schätzen die Tradition, «solange man in ihr wurzelt und nicht in ihr wurstelt» (Helmut Lachenmann). Wir wissen, welchen Kraftakt es bedeutet, «ungedeckte Gedanken» zu denken (Adorno) und was es heißt, das Kunst- und Musikwollen nicht nur für sich selbst individuell aufzufächern, sondern dieses auch kompromisslos konsequent in die Welt zu tragen; ganz egal, wie hoch der Preis ist, den man dafür bezahlen muss. Mit Oxymora zeigen wir, dass das scheinbar Unvereinbare zusammengehört. (Ein Akt reiner, bedingungsloser Liebe.) Wir verstehen uns als Schamanen der als in der Gegenwart verstandenen zukünftigen Musik. Auch wenn wir nicht offensiv politisch vorgehen, so verstehen wir unsere Haltung als Stachel im Fleisch der Klassifikationsnormativität. Wir erklären uns als künstlerisch kreative Anarchisten, die ohne spiritistischen Zinnober, aber durchaus mit transzendenter Sinnlichkeit mit dazu beitragen wollen, mit Musik die turbokapitalistische Zivilisation zu entzivilisieren: um missionslos archaisch mythischen Lebens- und Kunstpraktiken gewahr zu werden – bei wildem Denken im Hier und Jetzt mit Blick in eine offene, magische nahe Ferne. (Burkhard Stangl mit Dank an Eike Feß und Hans Schneider)

Produktionen

2024