Speicher III
Enno Poppe (2012)
für 13 Musiker:innen (2012) – 8´
Bei der motivisch-thematischen Arbeit finde ich es besonders spannend, dass man wiedererkennen und dass man beobachten kann, wie sich Dinge verändern, wie sich ein Netzwerk von Ähnlichkeiten ergibt. (Enno Poppe)
Musik ist etwas Lebendiges. Regeln und Gesetze sind dazu da, überprüft, überarbeitet, ausgetauscht oder abgeschafft zu werden. Das beginnt schon mit der Definition unseres kleinsten Bausteins: des Tons. Bis zu welcher Tonhöhenschwankung ist ein Ton mit Vibrato noch ein Einzelton? Es gibt ein Kontinuum von Erscheinungen zwischen Vibrato, Portamento, Glissando und mikrotonalen Abweichungen. Nichts davon wird von unserer Musiktheorie erfasst. Dazu kommt, dass ein kaum erforschter Zusammenhang zwischen Klangfarbe und Intonation besteht, über den Musiker:innen intuitiv viel mehr wissen als Komponist:innen mit ihrem Willen zur Systematik. Das Speicher-Projekt ist ein komplexes Gebilde aus Variationen und Wiederholungen. Es besteht aus sechs Teilen, die ohne Pause aneinander anschließen. Bislang sind die Teile I, III, IV, V geschrieben, die Gesamtdauer des Stücks wird am Ende etwa 80 Minuten betragen. Im Gesamtstück, wie in den sechs Teilen, die auch einzeln aufgeführt werden können, verhält sich auf allen Größenordnungen alles genau gleich: Die ersten Bratschentöne sind zueinander genauso in Beziehung gesetzt (als «entwickelnde Variation») wie die kleinen, mittleren und großen Formabschnitte. Damit ein Stück immer weitergeht und interessant bleibt, ist ja neben der Abwechslung vor allem wichtig, dass man etwas wiedererkennt. Wiedererkennbar kann alles sein, ein einzelner Klang wie ein ganzer Formteil (vgl. «Reprise»). Es ist also viel weniger nötig, dauernd neue Ideen in ein Stück hineinzuwerfen, als ein unvorhersehbares Netz aus Ableitungen zu erfinden. Die nächste Stufe wäre, dass man vorhersehen kann, was als nächstes geschieht: Dann wäre ein aktiver Zustand des Hörens hergestellt. Die Proportionen für alles, im Mikro- wie im Makrobereich, sind übrigens 8 – 3 – 4 – 6 – 2 – 12. Zwei in sich verschränkte Prozesse, von denen der eine kürzer wird (8 4 2), der andere länger (3 6 12). Aber das sind reale Dauern; ob etwas lang oder kurz ist, hängt vom Inhalt und der Wirkung ab. Dies hört sich, wie so oft, wenn über Musik gesprochen wird, abstrakt an. Die musikalischen Phänomene sind aber nie abstrakt. Ich möchte in diesem Stück etwas über Dimensionen herausfinden . Was leisten Ideen, wenn sie über eine Stunde strapaziert werden? Nicht die:der Hörer:in soll strapaziert werden, sondern ich kann und muss in einer großformatigen Partitur ganz anders über meine Ideen nachdenken. Dabei ist der Plan von Speicher keineswegs, alles in die Länge zu ziehen, sondern, um die Intensität hochzuhalten, die Extreme zu suchen: die extreme Verdichtung, Ausdünnung, Beschleunigung, Verbreiterung. Es kann nicht das Ziel sein, für ein achtzigminütiges Stück eine Inhaltsangabe oder eine Ideenliste anzufertigen. Sondern ich muss immer wach bleiben, um zu beobachten, was wie lange trägt und wie sich die Kräfte in der Musik bewegen und verschieben. In einem Speicher gerät ohnehin immer alles in Unordnung. (Enno Poppe)
Produktionen
- 2024
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MUK / WIEN MODERN
Speicher III(2012 UA)- '
20.11.2024 18:00, MUK.theater
20.11.2024 20:00, MUK.theater
- 2012
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Ensemble intercontemporain / Poppe
Speicher III(2012 EA)- 105'
10.11.2012 19:30, Wiener Konzerthaus, Mozart-Saal