Variationen über ein Rezitativ op. 40
Arnold Schönberg (1941)
(1941) – 19' (Martin Haselböck 70)
Nach Erinnerungen Dika Newlins forderte Arnold Schönberg seine Schüler:innen dazu auf, niemals blind modernen Idiomen zu folgen und künstlerische Entscheidungen stets unabhängig von kompositorischen Modeerscheinungen zu treffen: «Es gibt noch viel gute Musik in C-Dur zu schreiben!» Wie zum Beleg dieses mündlich tradierten Diktums schuf Schönberg nach seinem 1936 entstandenen Streichquartett Nr. 4 op. 37 für mehrere Jahre kein Werk unter Anwendung der «Methode der Komposition mit zwölf nur aufeinander bezogenen Tönen». Im Oktober 1938 wurde Kol Nidre op. 39 uraufgeführt, ein Sakralwerk, das aufgrund der Einbindung überlieferter melodischer Formeln kaum für einen atonalen Tonsatz geeignet war. 1939 vollendete er die 1906 begonnene Kammersymphonie Nr. 2 es-Moll op. 38 für ein Konzert der New Friends of Music in New York. Auf Anfrage nach einem Beitrag zur Contemporary Organ Series des Verlags H. W. Gray begann er 1941 mit einer zwölftönigen Sonata for Organ. Als der Herausgeber und Organist William Strickland konkret um «Variationen für Orgel, weder zu lange noch zu anspruchsvoll im Ausdruck» bat, entschied sich Schönberg jedoch für eine tonale Komposition. Das der Variationenfolge zugrundeliegende Thema, welches angesichts seiner rhythmisch-melodischen Faktur als Rezitativ bezeichnet wird, erstreckt sich über elf Takte und enthält alle zwölf Töne der chromatischen Skala. Spätestens ab dem vierten Takt machen freie Tonwiederholungen deutlich, dass es sich nicht um eine Zwölftonreihe handelt, sondern um eine auf dem Tonzentrum d basierende Melodie. In den folgenden, jeweils elf Takte umfassenden Variationen werden kurze Motive aus dem Melodieverlauf abstrahiert und im musikalischen Satz verwoben. Ähnlich wie bei den Variationen für Orchester op. 31 bildet das Thema zwar die strukturelle Basis des Werks, ist aber nur gelegentlich als musikalische Gestalt herauszuhören. René Leibowitz gegenüber äußerte Schönberg, er habe mit den Orgelvariationen «eine Lücke zwischen meiner Kammersymphonie und der ‹dissonanten› Musik» ausfüllen wollen, um «viele ungenutzte Möglichkeiten» des auf einen Zentralton bezogenen Komponierens zum Einsatz zu bringen. Skizzen dokumentieren umfangreiche Vorarbeiten zur Organisation des Tonsatzes, die mitunter kaum von vergleichbaren Aufzeichnungen zu Zwölftonwerken unterscheidbar sind. Schönberg dachte in den Orgelvariationen die bereits in der Harmonielehre von 1911 dargelegten Prinzipien konsequent fort. Grundlage harmonischer Verbindungen sind primär die Verknüpfungsmöglichkeiten der Tonkonstellationen selbst. Die nahe oder entfernte Verwandtschaft von Akkorden ergibt sich nicht aus abstrakten Funktionen, sondern aus Gemeinsamkeiten auf der Tonebene. So löst Schönberg beispielsweise in der achten Variation das Thema in Tonkaskaden auf, die auf Akkordfolgen beruhen, welche stetig zwischen Terz- und Quartschichtungen wechseln. In den Orgelvariationen gelangte der Komponist zu einer freien, neu durchdachten Gestaltung des chromatischen Raums, ohne die Prinzipien der Grundtonbezogenheit vollständig preiszugeben. (Eike Feß, © Arnold Schönberg Center)
Produktionen
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MARTIN HASELBÖCK 70
Variationen über ein Rezitativ op. 40(1941)- 75'
10.11.2024 20:00, Wiener Konzerthaus, Großer Saal