Statement von Bernhard Günther, künstlerischer Leiter Wien Modern
Vom 3. bis zum 30. November 2020 sind sämtliche Veranstaltungen in Österreich durch den Gesetzgeber untersagt. Wien Modern hält den Spielbetrieb bis dahin unverändert unter den bestehenden hohen und behördlich approbierten Sicherheitsbestimmungen aufrecht. Ab der kommenden Woche bemühen wir uns wo immer es möglich ist darum, die in den letzten Monaten und Jahren vorbereiteten Produktionen über Rundfunk oder Internet öffentlich zugänglich zu machen. Aktuelle Informationen dazu folgen so bald wie möglich. Mit Karteninhaber*innen für die Veranstaltungen werden wir uns schnellstmöglich in Verbindung setzen, was Rückzahlungen oder wahlweise auch Gutscheine oder Spendenmöglichkeit anbelangt.
Wir arbeiten als Festival wie auch in den letzten Monaten intensiv daran, die neue Gesetzeslage genauestens zu analysieren und in jedem einzelnen Fall mit allen Partner*innen und Künstler*innen zuprüfen, wie wir welche geplanten Produktionen in welcher Form gegebenenfalls doch öffentlich wahrnehmbar machen können. Dazu zählen Konzerte in den nächsten vier Wochen, die möglicherweise über den Rundfunk oder über Streaming angeboten werden, Verschiebungen auf einen späteren Zeitpunkt oder auch Formate, die sich möglicherweise aufgrund der Analogie zu beispielsweise Geschäftsöffnungszeiten doch in modifizierter Form ermöglichen lassen.
Wir sind dankbar für konstruktive Signale aus verschiedensten Partnerinstitutionen wie dem ORF und dem RSO Wien sowie auch von der Kulturstadträtin und aus dem Büro des Vizekanzlers. Wir haben größten Respekt vor den Künstler*innen, die teilweise monatelang an den Konzerten der kommenden vier Wochen gearbeitet haben, wie auch vor dem Publikum, das uns ungebrochenes Interesse und Solidarität signalisiert. Wir stehen zu unserer Verantwortung als Kulturbetrieb, die jetzige Lage meistern zu helfen, aber wir halten die Grundversorgung mit Kultur für ein unendlich kostbares Gut, zu deren Rettung wir auch in den nächsten Wochen beitragen werden, was wir können.
Statement von Bernhard Günther, künstlerischer Leiter Wien Modern
Ich gehe davon aus, dass die Bundesregierung weiß, was es bedeutet, wenn sie zentrale Wirtschaftsbereiche dieses Landes zum zweiten Mal auf 0% herunterfährt. Kultur ist in Österreich ein Sektor mit über 100.000 offiziell Beschäftigten, die riesige Dunkelziffer im Prekariat nicht mit eingerechnet, und mit enormen Auswirkungen auf die Stabilität von Tourismus, Gastgewerbe, Verkehr, Handel, Bildung und Wissenschaft, ganz abgesehen von ihrem Beitrag zur Stabilität vieler einzelner Menschen. Die Stimmungslage in diesem Bereich ist derzeit so, dass es dringend ganz deutliche Signale braucht, damit Kultur nicht als Opfer des Gesundheitswesens, des Wintertourismus in den Bergen und des Weihnachtsgeschäfts empfunden wird. Es ist klar, dass ein Kapitän versuchen muss, einem Eisberg auszuweichen, aber er muss jetzt alles dafür tun, damit das Schiff nicht an der anderen Seite auf Grund läuft.
Die Pandemie kann noch viele Monate andauern, und dieses Virus mag nicht das letzte gewesen sein. Jene Gesellschaftsbereiche, die anerkanntermaßen die Vorbilder im Entwickeln nachhaltiger Maßnahmen waren und die mit hochentwickelten Präventionskonzepten und der besten Kontaktnachverfolgbarkeit am wenigsten zur Verbreitung der Pandemie beigetragen haben, sehen sich durch die neuen Maßnahmen in akuter und langfristiger Gefahr. Das kann man nicht anders darstellen als eine wirtschaftlich wie auch von der Stimmungslage her existenzbedrohliche Krise der Kulturnation Österreich.
Der Kultursektor hat sich in Jahrzehnten der Sparpolitik mit enormem wirtschaftlichem Druck und weitverbreitetem Prekariat abgefunden. Ich appelliere jetzt dafür, wirklich überall, von den großen Häusern bis zur freien Szene, quer durch alle künstlerischen und stilistischen Bereiche, eine strenge Rechnung zu machen und die wahren Kosten auf den Tisch zu legen. Die Bundesregierung verlangt seit Monaten vom Kulturbereich einen extrem virtuosen Umgang mit den brutalsten Rotstiften und denfeinsten Skalpellen. Der Kultursektor hat in seinem Verantwortungsbereich alles getan, um alle Aufgaben zu meistern und über Monate hinweg die unmöglichsten Leistungen zu erbringen. In der jetzigen Extremsituation muss sich der Kultursektor von der Bundesregierung erwarten, dass sie diesem Schlag mit dem Holzhammer sofort die notwendigen Schritte folgen lässt, unbürokratisch, substantiell und schnell.