Cyborg Flesh
Stefan Prins (2023–2024)
für Streichquartett, E‐Gitarre und Live‐Elektronik (2023–2024 UA) – 52´ (Arditti 50.1)
When Irvine invited me, in 2021, to write a piece for the upcoming 50th Anniversary of the Arditti Quartet, I had a brain fry. On the one hand: how could I not oblige when given the opportunity to write for such a legendary group of musicians. On the other hand: how could I write for such a legendary group of musicians? And for a medium, the string quartet, that carries such a heavy aura, so deeply rooted in the 19th and early 20th century? Unable to immediately reconcile those contradictory feelings, I asked for some time to think it over. It seems like Irvine had read my thoughts though. Not long after our talk, he wrote me, asking if I’d fancy writing for the joint forces of the quartet and the electric guitar of Yaron Deutsch. It was as if I was suddenly handed the key to unlock this heavy wooden door behind which I could already see a fascinating sonic world to explore. I had just spent 18 months writing an electric guitar “concerto”, under_current for Yaron, which was premiered at Donaueschingen in 2021, and had a lot of material from this composition that I could imagine developing further and confronting with a string quartet in a myriad of different ways. But my head kept spinning. Since many years, Yaron and me also play in the improvisation band, The Ministry of Bad Decisions. We even performed as such, together with percussionist Brian Archinal, at this very festival in 2015. Imagining the combination of Yaron and the Ardittis, I was curious to see what would happen if I’d also bring this other, improvisational side of our musical DNA in play. Happily ignoring the common knowledge that one should never invite oneself to other people’s party, I proposed Irvine to add a sixth performer to the group: myself, improvising on live-electronics. This setup would ultimately give me the opportunity to develop a hybrid electro-acoustic sound world, in which I would be able to take enough distance from the historical sound of the string quartet – of which the strings are heavily prepared for the occasion - on the one side, and of the references of jazz and rock music, as carried by the electric guitar – augmented through a battery of effect pedals - on the other hand. A sound world in which I could interweave an “analog”, 19th century medium with 21st century electronic and digital media, all with their own sets of references. A sound world, lastly, in which the sacred 19th and early 20th century idea of the fixed score is offset by the more communal grittiness of music which is spontaneously improvised in the ever-changing “now”. I imagined a weird sonic cyborg of which the human flesh is interwoven by nano-wires that carry digitally generated, electric impulses, making it move, spasm, breathe, sing and shriek in unpredictable ways, in search of its very own identity. Cyborg Flesh is dedicated in admiration and friendship to the Arditti Quartet and Yaron Deutsch. (Stefan Prins, Berlin, 5th of September 2024)
Als mich Irvine [Arditti] 2021 eingeladen hat, ein Stück für das bevorstehende 50-Jahr-Jubiläum der Gründung des Arditti Quartets zu komponieren, war ich zuerst ratlos: Auf der einen Seite: Wie kann ich nicht für so ein legendäres Ensemble schreiben? Auf der anderen Seite: Wie soll ich für so eine legendäres Ensemble schreiben? Und dann auch noch für die auratische Gattung Streichquartett schreiben, die so stark im 19. Und frühen 20. Jahrhundert verhaftet ist. Nicht in der Lage, rasch mit all diesen widersprüchlichen Gefühle umzugehen, bat ich um etwas Zeit, um über die Einladung nachzudenken. Irvine hat wohl meine damaligen Gedanken gelesen, denn kurze Zeit später fragte er mich, ob ich mir vorstellen könnte, für das Quartett und den E-Gitarristen Yaron Deutsch gemeinsam zu schreiben. Es war, als hätte er mir plötzlich den Schlüssel gereicht, um das schwere hölzerne Tor zu öffnen, hinter dem es eine faszinierende musikalische Welt zu erforschen gab. Ich hatte gerade 18 Monate lang an dem Solokonzert under_current für Yaron und Orchester geschrieben, das 2021 in Donaueschingen uraufgeführt wurde, und jede Menge Material, das dabei entstanden war und das ich nun weiterentwickeln und in einer Myriade unterschiedlicher Arten und Weisen mit einem Streichquartett konfrontieren konnte. In meinem Kopf begann es heftig weiterzuarbeiten. Yaron und ich hatten viele Jahre in der Improvisationsband The Ministry of Bad Decisions zusammengespielt und waren unter anderem mit dem Schlagwerker Brian Archinal 2015 bei Wien Modern aufgetreten. Mir vorzustellen, dass ich nun bei diesem Festival für Yaron und die Ardittis etwas schreiben sollte, machte mich neugierig. Ich wollte erforschen, was es heißt, die improvisatorische Seite von Musik, die Yaron und ich auch in unserer DNA tragen, in meine kompositorische Arbeit zu integrieren. Obwohl ich weiß, dass man sich selbst nie zu einer Party einladen soll, schlug ich Irvine vor, einen sechsten Performer in die Gruppe aufzunehmen: mich, live-elektronisch improvisierend. Diese Zusammenstellung gab mir die Möglichkeit, eine hybride elektroakustische Klangwelt zu entwickeln, in der ich ebenso genug Distanz zum historischen Klang des Streichquartetts – dafür sind die Streicher auch weitgehend «präpariert» – aufbaue wie zu den Referenzen auf Jazz- und Rockmusik, wie sie durch die E-Gitarre – ihrerseits durch eine ganze Batterie an Effekt-Pedalen begleitet – mitgebracht werden. Eine Klangwelt, in der ich ein «analoges» Medium des 19. Jahrhunderts mit einem elektronischen und digitalen Medium des 21. Jahrhunderts und deren jeweils eigenen Traditionen zusammenbringen kann. Eine Klangwelt, schließlich, in der die heilige Idee des 19. und frühen 20. Jahrhunderts einer fixierten Partitur auf die eher gemeinschaftliche Rauheit improvisierter Musik und des sich ständig ändernden «Jetzt» trifft. Ich stellte mir einen sonderbaren Klang-Cyborg vor, bei dem das menschliche Fleisch mit Nano-Drähten verwoben ist, die digital veränderte elektrische Impulse übertragen, die ihn auf der Suche nach einer eigenen Identität auf nicht vorhersehbare Weise bewegen, verkrampfen, atmen, singen und schreien lassen. Cyborg Flesh ist in großer Bewunderung und Freundschaft dem Arditti Quartet and Yaron Deutsch gewidmet. (Stefan Prins; Übersetzung: Angela Heide)
Produktionen
- 2024
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ARDITTI 50.1 / ARDITTI 50.2 / ARDITTI 50.3 / ARDITTI 50.4
Cyborg Flesh(2023–2024 EA)- 120'
01.11.2024 20:00, Wiener Konzerthaus, Mozart-Saal