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He’s soo blue! Schönberg Pfeifen

Marino Formenti, Thomas Marschall (2024)

Film (2024 Preview)

Marino Formenti, Thomas Marschall Idee, Konzept, filmische Dramaturgie | Marino Formenti Musik, Komposition, Protagonist | Thomas Marschall Regie, Kamera | Chris Janka, Tong Zhang, Tjandra Warsosumarto Ton | Stephan Richter Post-Production | Clemens Hofmann, Katharina Kainz, Mary Peer, Alexander Zupan Set-Aufnahmeleitung | Kira David, Stefan Altenriederer Produktion/Wien Modern

Arnold Schönberg, eine der ganz großen Figuren der Musikgeschichte, gilt auch heutzutage, lange nach seinem Ableben wie zu seinen Schaffenszeiten, als höchst umstritten. Vielen erscheint er als «elitär» und «unzugänglich». Dabei wünschte sich Schönberg selbst in seinem Brief an den österreichischen Dirigenten Hans Rosbaud von 12. Mai 1947 nichts sehnlicher, «als dass man […] meine Melodien kennt und nachpfeift». Diesem Satz sind wir nachgegangen. Wir waren mit Klavier und Kamera auf Wiener Straßen unterwegs; auf wichtigen oder peripheren, ikonischen, klischeegeladenen Orten haben wir Schönbergs optimistischen Wunsch überprüft; den Wunsch, der vielleicht doch nur ironisch, sarkastisch, oder einfach paradox gemeint war, haben wir beim Wort genommen. Wir haben uns als Pfeif- und Spielwiese eine offene und einladende «Diwan-Lounge» ausgedacht und diese Ausstattung auf dem Flohmarkt in Mariahilf, auf dem Columbusplatz in Favoriten, im Schlosspark von Schönbrunn (Hietzing), im Donauzentrum und auf der COMIX-Messe in der METAStadt (beide Donaustadt) installiert. Dort haben wir zunächst mehr oder weniger alles zugelassen, ausprobiert, erlebt und gefilmt – und irgendwann mal die Musik Arnold Schönbergs in den Raum gestellt. Wir haben Apfelsaft und Schnaps miteinander getrunken; wir haben geredet, gespielt, getanzt – und wir haben dabei viel Zeit verbracht. Schönberg war dabei oft nur eine Ausrede, um eine Performance über Kommunikation und Musikalität durchzuführen und über die Stellung von Musik in unserer ziemlich geprüften, zerfaserten Gesellschaft nachzudenken. Wir wollten nicht belehren oder aufklären; wir wollten nicht beweisen, dass die Gesellschaft unbedingt Schönberg besser kennen sollte, dass sie dann eine bessere wäre. Musikalisch wollten wir zwar – aber nicht nur – mit der Musik Schönbergs agieren, sie jedoch mithilfe unserer mehr und weniger sensiblen, manchmal recht unzulänglichen, manchmal überraschend treffsicheren Besucher:innen gleichzeitig auch umformen, gefährden, überschreiben, beschmutzen. In ihrem Video Strings von 2010 zeigt Annika Kahrs ein spielendes Streichquartett: Nach und nach wechseln die Musiker:innen die Instrumente – ein Geiger nimmt das Violoncello, eine Geigerin wechselt ihr Instrument mit jenem ihrer Mitspielerin und so weiter – und spielen von da an je ein Instrument und eine Stimme, die sie nicht beherrschen. Dadurch entsteht eine immer surrealer werdende Musik. Das könnte vielleicht ein verwandtes Projekt sein, eines, das uns unter anderen inspiriert und ermutigt hat. Denn durch das «falsch singen» können auch neue Strukturen entstehen, mit denen man musikalisch umgehen muss. Die Aspekte Unvollständigkeit und Unzulänglichkeit haben uns dabei sehr gereizt, vor allem aber die überraschende Begegnungen. Die Menschen spielten zunächst, was sie wollten, und je nachdem, wie sie es wollten, allein, mit uns oder miteinander. Sie spielten Game Music, Frank Sinatra, Hip-Hop und neoromantische Klavierschnulzen. Und irgendwann mal wurden dann doch, oft eher leise und verlegen, mit der Frage konfrontiert: «Do you know Arnold Schönberg?» Am Ende unserer Reise galt es, aus 60 Stunden Material einem Film zu machen. Der Film sollte seinerseits nicht die mehrmonatige Performance-Reihe dokumentieren, sondern diese fortsetzen, reflektieren, auf sie möglichst genauso freudig und freimütig reagieren und den entstandenen gemeinsamen «Tanz» weitertanzen. (Marino Formenti & Thomas Marschall)

Produktionen

2024