meridian. metus. moth
Irene Galindo Quero (2024)
«Ich höre das Wort Meridian, ich höre das Wort Angst, ich höre das Wort Motte, und vor allem höre ich die zitternde Linie seiner Stimme, die unter den Worten liegt und wie Elektrizität klingt, die man versehentlich in einem verdrehten Kupferdraht klirren lässt.» (aus Ángela Segovia, Amor Divino)
Die obigen Zeilen, die im Titel des Stücks nachklingen, sind Teil von Amor Divino von Ángela Segovia. Der Text erwähnt zuvor einige Präsenzen, ihre Gesten, die Kälte der Goldkette, die sie, die junge Frau, in einer Hand hält. Der Text informiert uns nicht, er gibt uns Spuren, er ist uns keine Erklärungen schuldig, er trägt uns. Das ist wahrscheinlich die einzige Absicht meines Schreibens: dass es uns trägt. Und meine einzige Anstrengung ist, dass es mich im Dunkeln führt. Wenn ich anfange zu schreiben, habe ich das Gefühl, dass ich einen unmöglichen Ort betrete, an den ich geführt wurde, und dass ich dort bleiben muss, um so getreu wie möglich zu übersetzen. Im Inneren mache ich die Übung, mir die Augen zu verbinden, und das hilft mir, mich nur auf den Klang zu konzentrieren und den Ort, den ich bewohne, aus der Blindheit heraus zu verstehen. Ich denke an Paul Celans Dankesrede anlässlich der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 1960: «Ich finde etwas – wie die Sprache – Immaterielles, aber Irdisches, Terrestrisches, etwas Kreisförmiges, über die beiden Pole in sich selbst Zurückkehrendes und dabei – heitererweise – sogar die Tropen Durchkreuzendes –; ich finde … einen Meridian.» Der Meridian ist mir während des Schreibens dieses Stücks wiederholt begegnet, mit Segovia, Celan – und mit dem reinen Bild, das vom höchsten Punkt aus auftrifft. Das hat mich zu meinen wiederholten Annäherungen an das Verständnis der Natur des Lichts geführt, die bereits in mehreren meiner Stücke präsent sind, in denen ich damit spiele, Licht zu werfen und Schatten in Klangspektren hervorzurufen. Der französische Physiker Augustin Fresnel (1788–1827) entwarf Experimente zur Diffraktion des Lichts und zum Interferenzprinzip, der örtliche Schmied stellte die erforderlichen raffinierten Instrumente zur Verfügung. Angesichts der Komplexität der Beugungsprobleme konnte er sie in bestimmten Fällen zwar abstrakt lösen, aber keine konkreten experimentellen Vorhersagen machen. Mich fasziniert die Vorstellung von der Notwendigkeit der unmittelbaren Erfahrung von Wissen, selbst wenn der Untersuchungsgegenstand auf etwas Immaterielles gerichtet ist. Dass Musik uns trägt, ist letztlich unerklärlich, unkontrollierbar. Ich habe zugehört, gesucht und mich auf die Musiker:innen des Trio Amos verlassen. Sie haben mich angeleitet, ihre Instrumente neu zu kalibrieren und mich dem Verständnis des Klangs nähergebracht, der sich durch die Luft dieses unmöglichen Ortes bewegte und den ich mit ihrer Hilfe vertikal nach unten gezogen habe, um ihn direkt über unsere Köpfe zu führen. (Irene Galindo Quero)
Produktionen
- 2024
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TRIO AMOS
meridian. metus. moth(2024 UA)- '
12.11.2024 19:00, Reaktor