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Volumina

György Ligeti (1961–1962)

für Orgel (1961–1962/1966) – 17' (Martin Haselböck 70)

Volumina für Orgel habe ich von November 1961 bis Januar 1962 komponiert – auf Anregung von Hans Otte und im Auftrag von Radio Bremen. Die Uraufführung erfolgte im Rahmen des Bremer «pro musica nova»-Festivals am 4. Mai 1962, gespielt von Karl-Erik Welin in Zusammenarbeit mit Giuseppe G. Englert und Leo Nilsson als Registranten. […] Beim Komponieren von Volumina ging ich ausschließlich von den Möglichkeiten der Orgel aus und stellte mir Fragen wie: Welche Klangqualitäten kann man dem Instrument entlocken, welche Musik daraus entwickeln? Dabei habe ich versucht, die große Traditionsbelastung, der die Orgel mehr als alle anderen Instrumente ausgesetzt ist, außer Acht zu lassen. Eine Möglichkeit der Befreiung von dieser schweren Tradition deuteten die Orgelwerke von Bengt Hambræus an: Er war der Erste, der in seinen Kompositionen grundsätzlich neue Konzeptionen für dieses Instrument realisiert hat, und wenn irgendein Einfluss in meinem Stück spürbar ist, so beruht er auf meiner Bewunderung für die Orgelkunst von Hambræus. Was die neue Technik, die «Art des Orgelspielens» betrifft, war die glückliche Zusammenarbeit mit Karl-Erik Welin für mich von großer Bedeutung: Gemeinsam haben wir eine neuartige Anschlags- und Gleittechnik der Finger, Hände, Unterarme und Füße, eine ebenso neue Technik der Registrierung unter Verwendung von halbgezogenen Registerknöpfen (bei mechanischen Orgeln) und vieles andere mehr entwickelt. Später erhielt ich auch von Gerd Zacher überaus wertvolle Anregungen, die für die Neufassung von Volumina entscheidend waren. Die neue Spieltechnik war für mich aber keineswegs Selbstzweck, sondern diente der Realisation von bestimmten, aus dem Orgelklang hervorgehenden musikalisch-formalen Ideen. Mir schwebte eine gleichsam amorphe Musik vor, in der Einzeltöne keine Funktion haben, hingegen Tonhaufen und Tonballungen und die Volumenverhältnisse dieser Tonkollektive formbildend sind. Verdichtungen, Auflösungen, verschiedene interne Bewegungen der Tonhaufen, tektonische Ereignisse wie Einsturz, Auftürmen, Übereinanderschichten, dann gleichsam atmosphärische Vorgänge wie Verdampfen, Verhauchen und dergleichen gliedern die – global gesehen – kontinuierliche Form. Diese neue Art von Musik erforderte eine neue, adäquate Notation: Nicht die Einzeltöne sind notiert, sondern die Veränderungen der Tonkollektive und die Verfahren, mit denen man diese Veränderungen aus der Orgel hervorzaubert. Das Notenbild ähnelt einer «grafischen Partitur», ist jedoch keine, vielmehr fast so exakt wie die traditionelle Notation, nur eben auf andere musikalische Kategorien bezogen. Im Laufe der Zeit, nachdem das Stück auf verschiedenen Orgeln gespielt worden war, habe ich einiges an der Musik und an der Notation verändert – einerseits um der ursprünglichen Vorstellung einer kontinuierlichen Form näherzukommen, andererseits um das Stück auf unterschiedlichen Orgeln, mit mechanischer wie mit elektrischer Spieltraktur und Registratur, aufführbar zu machen. Diese zweite, nun endgültige Fassung von Volumina habe ich 1966 ausgearbeitet.
(Aus: György Ligeti: Gesammelte Schriften. Bd. 2. Mainz: Schott Music 2007, S. 189 f. © und Dank an Paul Sacher Stiftung, Basel, und Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz, Bestellnummer: PSB 1014)

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